Heute Vormittag habe ich frei. Gestern bin ich mit leerem Magen früh zu Bett gegangen und habe beschlossen, heute eine schöne lange Yogapraxis wahr werden zu lassen, einen halben Tag zu schweigen und länger als sonst zu meditieren. An diesem noch unschuldigen Sonntag, dessen erste feine Lichtschleier meine Stirn erreichen, möchte ich gut und großzügig zu mir und meinem Körper sein, meine Vitalität und das klare Bewusstsein fördern. Es ist fünf Uhr. Ich werfe mir dreimal Wasser ins Gesicht „OM Gam Ganapathaye Namaha, OM Gum Gurubhyo Namaha, OM Aim Saraswatyai Svaha“, schüttele mein Meditationskissen auf und setzte mich gen Osten. Es ist Bramamuhurtha, die stillste Stunde des Tages. „In den frühen Morgenstunden meditiere ich über das, was im Herzen als das SELBST leuchtet, über jene Wahrheit, die das Ziel aller großen Weisen ist. Ich bin nicht die Anhäufung der Elemente.“
Meditation
Im festen Sitz, den Atem in Langsamkeit vergessend, empfange ich das erste Licht von Innen und Außen. Wie eine Flamme an einem windstillen Ort, versinkt mein Geist in der Absichtslosigkeit des Nichtstuns, des inneren Beobachtens. Mein Rücken streckt sich von innen heraus in eine starke aufrechte Bahn. Muster, Farben, Bilder, Erinnerungen ziehen auf der Leinwand meines Geistes vorüber, hinterlassen aber heute kaum Spuren. Stille. Die Worte meines ehrwürdigen Meisters erklingen: „Nothing can touch you.“ Stille. Vogelgezwitscher. Stille. Mein Meditationsmantra beginnt selbständig in mir zu schwingen. Einst hatte meine spirituelle Lehrerin es mir, unsere Köpfe unter einen Tuch verborgen, in einer feierlichen Zeremonie weitergereicht. Zu selten erinnere ich mich dieser heiligen Silben. Doch jetzt ist es für einen unbeschreiblichen Augenblick das einzige, woran sich mein Geist noch festhalten möchte. Zeit und Raum vergehen. Frieden. Stille. „In den frühen Morgenstunden singe ich das Loblied dessen, das für Verstand und Worte unerreichbar ist. Das, was die Schriften mit den Worten „nicht dies, nicht das“ bezeichnen, ist ungeboren und unveränderlich.“
Yogapraxis
Plötzlich ist alles wieder da, die Luft in meinen Lungen, das Gewicht meines Körpers auf dem Kissen, das jetzt schon helle Licht des Tages und die laut miteinander singenden und plappernden Vögel. Ich atme tief ein, mein Hals erscheint mir viel länger, als ich das gewohnt bin. Dann rolle ich von meinem Kissen auf die Yogamatte. Langsam strecke ich die schmerzenden Knie und dehne vorsichtig meine Beine. Danach bewege ich meinen Körper so, wie er es gerade verlangt. Ich atme und erinnere mich aus dem Nichts heraus an eine so lustige Begebenheit, dass ich erst grinsen, dann laut kichern muss. Der Kopfstand fällt mir danach leicht. Ich fokussiere mich auf das Kronenchakra, auf ein rosa Licht und das Mantra „Soham“. Im Schulterstand übe ich Mula Bandha, den Apana-Energie Verschluss vom Beckenboden ausgehend. Jalandhara Bandha, der Prana-Energie Kinnverschluss wird im Schulterstand von der Asana selbst erzeugt. Die langsame und subtile Atmung ist der Anker, den mein Geist braucht, um im jetzigen Moment weiterhin still zu bleiben und tief zu entspannen. Die nächste Übung der Pflug, der in der Farbe blau auf das Vishuddha Kehlchakra wirkt, gelingt mir schlecht, wie immer am Morgen. Ich erinnere mich der Unbegrenztheit meines Seins und der Begrenztheit meines Körpers und übe mich in Akzeptanz. Die Fisch-Stellung mit einem hellen strahlenden Grün im Herzchakra könnte ich für alle Ewigkeit halten, so gut und leicht erscheint sie mir heute. Der Geist greift sich das energetische Muster der Yogastellung, die Stellung der Chakras zueinander und die Druckpunkte auf den Nadis, den Meridianen. Auch in der Vorwärtsbeuge und ihrem roten feurigen Licht im Sonnengeflecht kann ich wunderbar weiter meditieren. Drehsitz und Dreieck ziehen, ja bitten förmlich, die vitalen Kräfte meiner Energiehülle, nun durch das ganze System und durch die befreiten Chakras von unten zum Kopf hin zu strömen. Ich schlüpfe in die Rolle des Beobachters, Sakshi Bhav, und lasse meinen Körper so lange in den Yoga-Übungen anspannen und entspannen, wie er möchte. „Nothing can touch you“.
Dann setzte ich mich wieder auf mein Kissen, die Sonnenstrahlen kitzeln mir die Nase. Auch meine geliebte Übung der Wechselatmung darf sich heute so oft wiederholen, wie sie und ich mögen. Linkes Nasenloch ein, Bandhas setzten, Atem halten und entspannen. Kein Zählen, keine Zeit, kein Mantra, hier hat mein Geist einfach frei. Nichts, was er tun, nichts, was er denken müsste. Rechts fein und lange ausatmen, in fast unerträglicher brisanter Langsamkeit die Lungen so vollständig leeren als möglich. Rechts gefühlvoll Energie schöpfen… „Wer bin ich – wer ist mein Geist – was ist die Stille – was ist Energie – was ist Bewusstsein?“ Fragen und Antworten werden Runde für Runde klarer. Im darauffolgendem Bastrika Pranayama, der heftigen ‚Blasebalgatmung‘ und dem langen Atemanhalten, erklärt sich mit steigender inneren Vitalität, ,Bewusstsein‘ ein Stückweit selbst.
Für Yoga Nidra, den ‚Schlaf der Yogis‘ strecke ich erst meine Beine und dann mich selbst aus und decke mich großzügig und warm zu. Ich schicke eine Welle der Entspannung durch meinen Körper, löse Spannungen, wo immer ich sie noch finde und lasse mich ins große Ganze los.
Küche und Bad
Irgendwann lande ich wieder in meinem Körper. Ohne auf die Uhr zu schauen gehe ich in die Küche und stelle einen Topf mit weichem Wasser auf den Herd. Das Wasser soll 20 Minuten kochen und dadurch die Fähigkeit erhalten, Ama, also Schlackestoffe, aus dem Körper zu lösen und abzutransportieren. Während das Wasser köchelt, singe ich die Shanti Mantras und einige Kirtans am Harmonium. Schließlich danke dem Himmel für die wohltuende Morgenpraxis und wünsche allen Wesen Liebe und Heilung, die das gerade gut gebrauchen könnten. Zähneputzen, Nasendusche, Zungekratzen, Einölen, das volle Programm im Bad. Ich trinke ein großes Glas abgekochtes Wasser, dann schlage ich ein Kapitel der Baghavad Gita auf und versuche mir seinen Inhalt zu merken. Ich drücke zwei Zitronen und ein Stückchen Ingwer aus und trinke beides mit abgekochtem Wasser. Dann häute ich Mandeln und mahle sie mit Wasser, Kardamom und Pfeffer zu einer feinen Mandelmilch. Mit zenbuddhistischer Achtsamkeit schnippele ich mir einen Obstsalat, den ich mit Quinoa verspeise. Nun plane ich meinen Tag, wobei ich darauf achte, weitere kleine Zeiten und Gelegenheiten für mehr Meditation und Yoga freizuhalten. Ich schreibe in mein Gedankenbuch und finde schöne Affirmationen für den Tag: „Liebe und Leichtigkeit, Lachen und Licht – Die Welt ist ein Traum, hänge Dich nicht an Dinge und Gedanken – Sei gut, tue Gutes“. Ich übe zwei Seiten Likhitha Japa, das Schreiben eines Mantras mit voller Aufmerksamkeit und Hingabe. Später werde ich versuchen, meine Arbeit als Karma Yoga zu betrachten und unverhaftet zu erkennen, was das ‚allgemeine Wohlbefinden‘ meiner Mitmenschen verbessern könnte. Zum Abend plane ich ein basisches Wannenbad und eine Marmapunkt-Massage mit Sesamöl auf den vitalen Akupressurpunkten des Körpers.
Zwar ändert die spirituelle Praxis nichts an der letzendlichen Wahrheit, die hinter allen Dingen liegt, doch werden wir uns ohne eine persönliche regelmäßige Yogapraxis dieser Wahrheit, wenn überhaupt, wohl nur sehr langsam bewusst werden. „Gesundheit ist Reichtum – Geistiger Frieden ist Glück – Yoga zeigt den Weg. Swami Vishnu Devananda.“
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